Kirche Praden


Eingang zu Friedhof und Kirche. Fotos: Susanne Müller

Ruedi Müller *. Meist nähert man sich der Kirche Praden von der Strasse, also von oben her. Auffällig ist dann zunächst das grosse Schindeldach und der schmucke weisse Turm. Sicherlich waren Schindeln aus Lärchenholz auch das ursprüngliche Dachmaterial. Mitte der achtziger Jahre (1984) wurde die Kirche einer Aussenrenovation unterzogen. Dabei wurde in Vielem wieder ein früherer Zustand hergestellt und somit eine, aus heutiger Sicht wenig glückliche, Renovation aus der Mitte des 20. Jahrhunderts (1958) sozusagen rückgängig gemacht. Eben: statt Eternit-Platten auf dem Dach wieder Schindeln, ein Werk von Schindelmacher Lorenz Krättli aus Untervaz. Es brauchte übrigens einiges an Überredungskunst, um auch die Gebäudeversicherung von der Schönheit des bergseits bis nahe zum Boden reichenden Schindeldaches zu überzeugen. Der obere Teil des Turmes war eingekleidet, wenn ich mich richtig erinnere, auch wieder mit Eternit. Dies verlieh ihm beinahe das Aussehen eines alten Transformatorentürmchens. Auch diese Sünde wurde gutgemacht. Heute haben wir wieder einen offenen Glockenstuhl und Blick auf die Glocken. Ebenso führt, vom Holztor in der Friedhofmauer ein schlankes Giebeldächchen zur Kirchentür, anstelle des schweren, an der Kirchenfront angeklebten Pultdaches. Den Eingang schmücken auf beiden Seiten Sgraffiti des Engadiner Künstlers Giuliano Pedretti, welche 1958 geschaffen wurden. Links vermutlich die Posaunen von Jericho, rechts Moses und das goldene Kalb. Unter dem Giebel eine Sonnenuhr mit den Symbolen der vier Evangelisten.


Sgraffiti von Giuliano Pedretti 1958: Die Posaunen von Jericho. Moses und das goldene Kalb

Der Friedhof liegt unmittelbar talwärts der Kirche. Die weisse Friedhofmauer entspringt an der oberen Kirchenmauer und am Turm und umschliesst dann Kirche und Friedhof. Der Turm wurde wohl einmal erhöht, wahrscheinlich, um Platz für eine zweite Glocke zu schaffen. Der genaue Zeitpunkt ist unbekannt.

Das Innere: ein schlichter, fast schmuckloser, rechteckiger, nach Osten ausgerichteter Raum. Wir sind in einer seit jeher protestantischen Kirche. Dennoch drei farbige Glasfenster. Vorne links, in der Nordwand die Geburt Jesu mit den drei Königen. In der Mitte der Ostwand, eine Szene aus der Bergpredigt und in der Südwand eine Darstellung des Gartens Gethsemane. Die leicht gewölbte Decke und das Täfer an den Seitenwänden, bis über die Bankhöhe sind aus Lärchenholz. 1995 erfolgte eine Innenrenovation. Bänke, Böden und Wände wurden aufgefrischt und eine Beleuchtung in zeitgemässem Design installiert.

Das eigentliche Schmuckstück ist jedoch die Orgel. Sie stand bis 1958 auf einer Empore, heute steht sie rechts vorne im Kirchenschiff. Nach einer nicht sehr befriedigenden Renovation von 1983, wurde sie 1995 durch den Orgelbauer Arno Caluori erneut gründlich restauriert.

Die Orgel

Die Orgel in Praden ist zumindest in ihrer Grundsubstanz die älteste in einer Kirche Graubündens. Das Geheimnis ihres Alters wurde erst 1995 durch Arno Caluori gelüftet. Anlässlich der Restauration wurden alle Holzpfeifen zerlegt und neu verleimt. Dabei tauchte im Innern einer Pfeife die folgende, mit Rötel geschriebene Inschrift auf:


Hausorgel von Aaron Riekh 1636

Aaron Rieckh Orgelmacher Anno 1636 ist dieses Orgel­ werck
Gemacht worden dem Herrn Domdekan Michel Humelberg

Diese Inschrift blieb 360 Jahre lang verborgen. Heute wissen wir nun aber, wer die Orgel wann und für wen geschaffen hat: Aaron Rieckh stammt aus Memmingen in Süddeutschland. Als er 1636 die Orgel baute, hielt er sich wahrscheinlich
in Chur auf, hatte er doch zwei Jahre zuvor Arbeiten an der Orgel der St. Martinskirche ausgeführt. Sein Kunde, Michel Humelberg aus Feldkirch, wurde 1636 an den bischöflichen Hof in Chur berufen. Es ist anzunehmen, dass er sich bei dieser Gelegenheit eine kleine Hausorgel bauen liess. Sie wird wohl das Prunkstück seiner Stube im Hof gewesen sein. Vermutlich erklangen darauf nicht nur Choräle, sondern der Herr Dekan wird wohl auch ab und zu ein munteres Tänzchen zum Besten gegeben haben.
Bei der Orgel handelt es sich um ein sogenanntes Orgelpositiv mit fünf Registern. Das Instrument enthält insgesamt 245 Pfeifen aus Holz und Metall. Die grosse mittlere Pfeife des Prospekts ist zur Zierde, in auffälliger Weise besonders kunstvoll gestaltet.

Über die verschlungenen Pfade, die die Orgel vom Domdekan nach Praden führten, ist wenig bekannt. Sie wurde sicher mehrfach umgebaut und hat wohl ebenso oft ihren Besitzer gewechselt. Unter vielen Farbschichten kam eine weitere Innschrift zu Tage: «Rebariert den 5 Augusti ao 1779 Pangerati Keyser aus St.Margarethen im thurgau.» Keyser ist bekannt als Erbauer der Orgel in Versam und anderen in Graubünden.

Vor mehr als hundert Jahren schliesslich gelangte der Orgelbauer Jakob Metzler in den Besitz der Orgel. Nachdem er das Werk nochmals einschneidend umgebaut hatte, verkaufte er es 1900 der «löblichen Gemeinde Praden» für 800 Franken.
Auffällig auch das heute wieder ganz besonders hübsche Äussere der Orgel, nachdem sie ein paar Jahrzehnte als graue Maus überdauern musste. Die beiden bemalten Flügeltüren, die König David mit der Harfe und einen posaunen- blasenden Engel zeigen, sollen bei der Kirchenrenovation 1958 schlicht auf den Müll geworfen worden sein. Der Orgelkasten wurde flächendeckend mit einer grauen Tarnfarbe übermalt. Ein verständiger Churer Hausbesitzer in Praden rettete die bemalten Türchen; sie haben auf seinem Estrich überdauert.

Durch die sorgfältige Restauration von Brigitte Bütikofer konnten diese – wie auch die Schnitzereien und Ornamente auf dem Kasten – in den originalen Farbtönen wieder hergestellt werden.

Auch wenn sich die Orgel heute wieder in ihrer ganzen Pracht präsentiert, soll sie nicht ein museales Stück sein, sondern zuallererst als ein klangschönes Musikinstrument dienen.

Zur Kirchengeschichte

Praden und Tschiertschen gehörten ursprünglich zur Pfarrei St.Georg in Castiel. Der beschwerliche Weg nach Castiel führte vermutlich schon im 14. Jahrhundert zum Bau einer Kapelle in Tschiertschen, an dem sich Praden nachgewiesenermassen beteiligte.

In der Zeit zwischen 1629 und 1642 bauten die Pradner ihre eigene Kirche. Wie es dazu kam, ist eine eigene Geschichte, die mit der Pest zu tun hat. Zur Pestzeit in Chur flohen im Jahr 1629 reiche, angesehene Churer, unter ihnen auch der Bürgermeister Bawier, vor der Pest nach Tschiertschen. Als es dann in Praden die ersten Pesttoten gab, wollten die Churer Bürger in Tschiertschen aus begreiflichen Gründen verhindern, dass diese, wie es ja eigentlich üblich und rechtens war, in Tschiertschen beerdigt würden. Sie übergaben den Pradern Geld, damit sie ihre Toten anderswo beerdigen. Als dann in Praden die Toten zahlreicher wurden, beschloss man, eine eigene Kirche mit dem Churer Geld zu bauen. Zunächst wurde um das Grab des Müllers Büebli die Kirchhofmauer errichtet, und daneben kam dann später die Kirche zu stehen.

Dennoch behielt Praden gewisse Eigentumsrechte, aber auch Unterhaltspflichten an der Kirche in Tschiertschen. Dies und auch die gemeinsame Pastoration führte zu endlosen, erbitterten Streitereien, die erst 1839 durch Vermittlung von Pfarrer Matthäus Vinzenz endgültig beigelegt wurden. Obwohl es in dieser Übereinkunft heisst, Praden könne nun «vorzüglich darauf bedacht sein, seine eigene Kirche in gehörigem Zustand zu erhalten» ist von Renovationsarbeiten bis in neuere Zeit (1958) nichts mehr bekannt. Einmal davon abgesehen, dass im Jahr 1898 die Gemeinde die grösste Glocke erwarb. Diese – im Tirol 1849 gegossen – wurde bei Glockengiesser Theus in Felsberg für 1500 Franken gekauft. Glockenaufzug war am 26. Oktober 1898. Anlässlich der Renovation von 1958 erwarb man bei Rüetschi in Aarau eine weitere Glocke. Allerdings harmonierte diese nicht mit der ältesten, kleinen Glocke, weshalb sie nach Tschiertschen kam. Diese Glocke trägt die Jahreszahl 1662. Sie war ein Geschenk des Zunftmeisters C. Gantner aus Chur, welcher sich damit für Weiderechte auf der Pradner Allmende erkenntlich zeigte. Sie trägt neben Namen und Wappen Gantners die Innschrift: «mich goss Gaudentz Hempel in Chur Anno 1662». Das heutige dreistimmige Geläute hat die Stimmung fis-h-dis.

Liebe Tschiertscher, liebe Gäste, statt immer einfach durchzufahren, halten Sie doch mal an in Praden, steigen Sie aus und besuchen Sie die Kirche und das Dorf. Damit hätten auch diese Zeilen ihren Zweck erfüllt.

*In «Mitteilungen 9, Dezember 2015», Pro Tschiertschen-Praden

Eine weitere ausführliche Dokumentation der Kirche Praden (pdf, 7Mb) von ca. 1995.